Erdgas in der Krise? Stellenwert und Bedeutungswandel des Energieträgers nach zwei Jahren Energiekrise

Die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und die Auswirkungen der daraufhin erhobenen Sanktionen des Westens führten zu massiven Verwerfungen auf den globalen Energiemärkten. Aus deutscher Sicht wirkte sich die Einstellung russischer Erdgaslieferungen besonders gravierend aus. Lange Zeit war es in Deutschland versäumt worden, den Risiken steigender Erdgasbezüge aus Russland und der damit verbundenen Ausweitung bestehender Abhängigkeitsverhältnisse Rechnung zu tragen. Am Ende dieser Sorglosigkeit stand unter den Eindrücken eines bösen Erwachens im Februar 2022 die dringend gebotene Neuordnung der deutschen Erdgasversorgung. Es gelang unter großen Anstrengungen, trotz des erheblichen Preisauftriebs und der an ihrem Kapazitätslimit operierenden europäischen Einfuhrinfrastrukturen, die Erdgasversorgung für das Winterhalbjahr 2022/23 sicherzustellen. Mit dem Beginn des Jahres 2023 wurde die deutsche Erdgasversorgung um eigene Terminals für den Umschlag von LNG erweitert. Neben der Schaffung zusätzlicher Importkapazitäten, dienen die Terminals der Diversifizierung der Lieferketten durch einen nationalen Zugang zum LNG-Weltmarkt. Weitreichender sind jedoch die Konsequenzen für die mittel- bis langfristige Rolle von Erdgas in der deutschen Energieversorgung. Zwar bleibt Erdgas unbestritten relevant in den Bereichen industrieller Anwendungen und der Stromversorgung, doch die Vorgaben zu Energieeinspar- und Klimaschutzmaßnahmen werden die Nutzungsstruktur von Erdgas perspektivisch in den Sektoren der Privathaushalte sowie Gewerbe/Handel/Dienstleistungen deutlich zu Gunsten der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen verschieben. Maßgeblich sind hier auch die Planungen zum Aufbau von Infrastrukturen für die Gewinnung, den Import, die großflächige Verteilung und Nutzung von Wasserstoff und grüne Gasen im Rahmen des Markthochlaufs für Wasserstoff.